Gibt es eigentlich Wunder? Oder ist das nur religiöser, übertriebener, unaufgeklärter Unsinn?
Ich glaube, es kommt darauf an, was jeder einzelne von uns unter einem Wunder versteht. Am Anfang war das Wort, heißt es ganz biblisch. Also gebe ich das Wort „Wunder“ bei Duden.de ein und lese mir die Bedeutungsübersicht durch: 1. außergewöhnliches, den Naturgesetzen oder aller Erfahrung widersprechendes und deshalb der unmittelbaren Einwirkung einer göttlichen Macht oder übernatürlichen Kräften zugeschriebenes Geschehen, Ereignis, das Staunen erregt 2. etwas, was in seiner Art, durch sein Maß an Vollkommenheit das Gewohnte, Übliche so weit übertrifft, dass es große Bewunderung, großes Staunen erregt 3. in Verbindung mit bestimmten Fragewörtern.
Hm. Recht übernatürlich angehaucht. Und dann auch wieder nicht. Etwas, das unseren Erfahrungen widerspricht. Also beispielsweise ein höflicher Busfahrer in Berlin. Etwas, das das Übliche weit übertrifft und Staunen erregt. Also zum Beispiel eine Frau ohne Arme, die es dennoch schafft, wunderschöne Bilder zu malen. Oder ein Mann ohne Beine, der einen Marathon gewinnt. Etwas, das in Verbindung mit Fragewörtern gedacht wird. Also etwas, das wir nicht kennen, nicht verstehen, bei dem wir nachhaken müssen. Dann sind Wunder also doch auch irgendwie greifbar. Auch für jemanden, der mit einem großen Weltenlenker nichts zu tun haben will.
Ich versuche es mal mit einer eigenen Definition: Wunder sind Dinge, Momente, Menschen, die uns zum Guten hin im richtigen Moment überraschen. Ich gehe so weit zu sagen: Wunder sind kleine und große Zufälle, die unser Leben bereichern und verbessern – Zufälle die nicht einfach so passieren. Zufälle, für die jemand meist hart arbeiten muss – ob man selbst, das Gegenüber oder jemand völlig Fremdes, das sei erst einmal dahingestellt. Wunder sind in dem Sinn Zufälle, dass wir nicht mit ihnen rechnen, dass sie plötzlich einfach passieren. Unvorhersehbar und außergewöhnlich.
Ich arbeite täglich hart daran, irgendwann ruhigen Gewissens von meiner Kreativität leben zu können. Und obwohl ich so hart daran arbeite, empfinde ich jeden Erfolg, jeden Schritt vorwärts als ein unerwartetes Glück, als etwas, das mir Auftrieb verleiht – ein Wunder. Wenn ich morgens in einen Bus steige und während des Fahrkartenverkaufs angelächelt werde, dann widerspricht das allem, was ich in meinem Alltag in Berlin regelmäßig erlebe. Für mich ist das dann ein kleines Wunder. Für den Busfahrer ist es die Überwindung, fremde Menschen anzulächeln, die durch ihn hindurchsehen. Und wenn ich sehe, wie fremde Menschen trotz all ihren Einschränkungen weitermachen und dabei sogar noch an andere denken, dann ist auch das ein Wunder für mich – eines für das diese fremden Menschen täglich wieder hart arbeiten müssen.
Wunder kommen also nicht aus dem Nichts und doch fallen sie uns irgendwie zu. Dann, wenn wir sie brauchen. Ich bin mir beispielsweise sicher, dass es ein Wunder ist, dass ich heute noch lebe. Klingt total übertrieben oder? Ist es aber nicht. Als Kind hatte ich einen schweren Unfall – nicht äußerlich, denn ich hatte keinen Kratzer, aber innerlich. Dass ich damals nicht in kürzester Zeit verblutete und starb, verdankte ich so dermaßen vielen Zufällen, dass ich mit zehn begann, das Wort „Zufall“ mit anderen Augen zu sehen und es Wunder zu nennen. Ein Beispiel? Wie oft kommt wohl der „Defekt“ vor, eine zweite Milz zu besitzen? Praktisch, wenn man sich bei einem Unfall so verletzt, dass die eigentliche Milz fast völlig zerstört ist. Da kann man sich doch nur was? Wundern. Ich jedenfalls habe mich gewundert, gefreut und bin dankbar, noch hier sein zu dürfen. Ist doch wunderbar oder?
Ich weiß nicht, warum es Unglück und Elend auf der Welt gibt. Ich weiß nicht, warum es nicht für jedes Problem das Wunder einer Lösung gibt. Ich weiß, vieles haben wir Menschen der Erde eingebrockt, nicht umgekehrt. Aber nicht alles. Trotzdem komme ich nicht umhin, weiter an Wunder zu glauben. Ich glaube solange an Wunder, wie es Menschen gibt, die daran arbeiten, für andere Wunder zu sein und zu wirken. Und ich will für andere so jemand sein sooft es geht. Und solange es Menschen gibt, die an Wunder glauben, können sie einem auch überall begegnen. Ich finde, das macht Hoffnung.
Erwartet Wunder. Erwartet das Unerwartbare. Gebt die Hoffnung nicht auf, dass alles am Ende gut wird. Denn wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende – das wusste schon Oscar Wilde.
In diesem Sinne: ich hoffe, Eure zweite Adventswoche war wunder-voll. Tut mir leid, dass ich Euch wieder einmal warten ließ. Wenn alles gut geht, mit etwas Glück, bekommt ihr den dritten Adventsgedanken pünktlich übermorgen! Würde Euch das wundern? 😉
Sincerely